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Die Sonderausgabe WALNUSSblatt Nr. 3 mit Li Shalimas Artikel kann auch hier als PDF Datei gelesen und heruntergeladen werden:
Nachdem ich in der ersten Ausgabe über die Arbeit mit der Bedürfnisplatte geschrieben habe, und darüber, wie hilfreich es sein kann, wenn wir in unserer Kommunikation echte authentische Bedürfnisse von unseren Werten und Strategien zu ihrer Erfüllung unterscheiden, nachdem ich dann im zweiten Heft über den Himmel auf Erden, die Stille unterm Stuhl, die Nahen Feinde und das Labyrinth geschrieben habe, möchte ich nun etwas zu dem Begriff MATRIARCHAT schreiben. Denn immer noch kursieren zu viele Missverständnisse darüber, was mit dem Begriff »Matriarchat« tatsächlich gemeint ist.
Außerdem hängt das, was ich heute als Übungsmethode zur Genesung von Patriarchose bezeichne und anbiete, damit zusammen, dass ich in der Zeit von 2002 an über zehn Jahre lang, zuerst als Assistentin und dann als Dozentin, im Leitungsteam der Akademie ALMA MATER tätig war, in der ich auch die Ausbildung zur Kulturreferentin für Matriarchatskunde absolviert habe. In dieser für mich sehr besonderen Zeit hatte ich die Möglichkeit, mich sehr intensiv mit den Fragen auseinander zu setzen, welche Strukturen eigentlich für die fortschreitende Zerstörung unserer eigenen Lebensgrundlage, unserer MUTTER ERDE verantwortlich sind. Und ich bin der Frage nachgegangen, wie wir das, was wir von friedlichen Menschen und matriarchal lebenden Völkern lernen können, auch in unserem eigenen Alltag umsetzen können. Denn, wie sich schnell herausstellte, können wir ja Ihre Lebensformen nicht einfach mal so eben 1:1 übernehmen, selbst wenn wir das wollten. Und selbst wenn wir es tun würden, dann wären wir noch lange nicht matriarchal. Es muss also einen anderen Weg geben. Um eigene Lösungen zu entwickeln, ist es sehr hilfreich, tiefer zu verstehen, was ein Matriarchat ausmacht, und warum matriarchale Menschen wie beispielsweise die Mosuo, ihre traditionellen Familienformen in der Mutterlinie pflegen und unbedingt erhalten wollen.
Erster Schritt: sprachliche Irrtümer beseitigen
„Matriarchat“ heißt nicht „Frauenherrschaft“, so wie es oft als Gegenpart zum „Patriarchat“ interpretiert wird, was ja, wenn wir es korrekt übersetzen, ursprünglich auch nicht „Männerherrschaft“ heißt, auch wenn es in seiner Konsequenz dann letztendlich dazu geführt hat.
Arché heißt ursprünglich „Anfang“ und wird erst sehr viel später als „Herrschaft“ verwendet. Die Übersetzung des Begriffs Matriarchat als „am Angang die Mutter“ wird vor allem von Heide Göttner-Abendroth vertreten, die seit den 1980er Jahren die moderne Matriarchatsforschung maßgeblich geprägt hat. Sie hat viele wissenschaftlich fundierte Bücher dazu herausgegeben, seit 2003 mehrere Weltkongresse organisiert und geleitet und durch ihre Reisen dazu beigetragen, dass wir heute den wesentlichen Unterschied zum Patriarchat auch durch reale Beispiele belegen und besser verstehen können. Siehe hierzu auch die Filme von Uschi Madeisky, „tomult&töchter”.
Nehmen wir das Wort Matriarchat auseinander, Matri heißt »die Mutter« und arché heißt »am Anfang«, dann bedeutet Matriarchat = „Die Mutter am Anfang“. Oder wie Heide Göttner-Abendroth es schreibt „Am Anfang die Mütter“. Im Umkehrschluss heißt dann, Patri = der Vater, Patriarchat „Der Vater am Anfang“. Daraus wurde dann die „Vaterherrschaft“, die sich am deutlichsten in den großen Weltreligionen widerspiegelt, in denen das Bild der Naturreligionen von einer liebenden Mutter Erde, die uns nährt, durch einen herrschenden und auch strafenden Vater im Himmel ersetzt wurde.
Der Kampf um eine geschlechtergerechte Teilhabe innerhalb dieser Vaterherrschaft führt uns nicht zurück ins Matriarchat. Denn alles, was wir uns innerhalb dieses Systems erwirken, das kann nur ein Naher Feind sein, solange das System nicht verändert wird. Solange unsere Lösungen System immanent bleiben, kommt auch immer dasselbe dabei heraus. Denn wir können ein Problem nicht mit denselben Mitteln lösen, die es verursacht haben. Das tun wir aber all zu oft, und zwar auf fast allen Ebenen, ob das die Gewaltprävention in der Schule ist – die Schule an sich ist strukturelle Gewalt – oder die Bekämpfung der Naturzerstörung, unter anderem mit Natur unverträglichen Technologien, ob es die militärischen Antworten auf Terrorismus sind, die zur Entwicklung immer vernichtenderer Waffen führt oder das Gesundheitswesen, oder die Sozialpolitik.
Deshalb halte ich das Thema Matriarchat für sehr wichtig. Das tiefere Verständnis darüber könnte hilfreich sein, die Lebensformel wieder mit einem anderen Vorzeichen zu versehen. Ich bin sicher, dass wir dann zu ganz anderen Lösungen finden werden. Und mit wir meine ich nicht nur Frauen, denn auch das ist ein Missverständnis, das ich oft höre. Nein, es sind nicht nur Frauen am Matriarchat beteiligt, sondern Männer und Frauen, und es geht allen Geschlechtern in diesem System besser. Mütterliches fürsorgliches Verhalten, sei es anderen Menschen oder einfach allem Leben und der Natur schlechthin gegenüber, ist ja nicht geschlechtsgebunden. Übrigens sind im Patriarchat auch alle Geschlechter mit daran beteiligt, zumindest heute, dieses System zu festigen, anstatt es aufzulösen.
Schaue ich bei Wikipedia nach, finde ich folgende Übersetzung: Das Substantiv archē hängt mit dem Verb ἄρχειν árchein zusammen, dessen Grundbedeutung „anfangen, die Initiative ergreifen, der Erste sein, vorangehen“ ist. Einer macht den Anfang, andere schließen sich an und folgen nach. Der Erste, der vorangeht und an dem die anderen sich orientieren, ist dann der Anführer, der befehligt. Er ist also nicht nur zeitlich, sondern zugleich auch dem Rang nach der Erste. Daher hat árchein auch die Bedeutung herrschen. Demgemäß ist mit archē allgemeinsprachlich meist der Anfang von etwas gemeint, also das zeitlich Erste, und in politischem Zusammenhang die Herrschaft im Sinn von „erster Platz“. Der philosophische Sprachgebrauch verbindet diese beiden Aspekte.
Man sieht, woher die Missverständnisse kommen. Das eine ist die Wortbedeutung, das andere ist die Erfahrung. Das, was wir kennen, ist, dass derjenige, der vorne weg geht, herrscht. Es ist derjenige mit dem meisten Geld und mit der größten Fähigkeit zum Machtmissbrauch. Im Matriarchat ist es die Person, die am meisten natürliche Autorität bekommt, und das nicht nur, weil sie die erste ist, die morgens aufsteht und auch diejenige, die am Abend den letzten Rundgang durchs Haus macht, sondern weil sie diejenige Person ist, die am besten für alle sorgt. Es ist diejenige, die sich am gütigsten verhält, die am weisesten handelt und am gerechtesten verteilt. Herrschaft wird im Matriarchat vermieden, es ist sogar verpönt.
Moderne Matriarchate
Dritter Irrtum: Es gäbe keine Matriarchate und Kriege hätte es immer schon gegeben, das gehöre halt zum Menschsein. Das stimmt nicht.* Besonders gut erforscht und vielfach beschriebene Matriarchate, sind die Mosuo, ein unabhängiges Volk, mit einer Bevölkerungsgröße von 40.000 Menschen, das am Lugusee im Südwesten Chinas lebt, und die Minangkabau, eine Ethnie auf der indonesischen Insel Sumatra, die mit über drei Millionen Angehörigen die größte bekannte matrilineare und matrilokale Kultur weltweit ist. Bei Ihnen und auch bei allen anderen Völkern, die heute als Matriarchat bezeichnet werden, können wir vor allem eines beobachten: das Wohlergehen der Mütter steht an erster Stelle. Die Mütter sind also der Anfang, denn so sagen und wissen es diese Menschen: „Wenn es den Frauen und wenn es den Müttern gut geht, dann geht es allen Menschen gut.“ Es gibt also heute noch viele real existierende Menschen, die uns das Matriarchat vorleben. Und es gibt inzwischen sehr viele archäologische Belege dafür, dass es auf dem gesamten Erdball und auch über einen sehr langen Zeitraum friedlich lebende Menschen gab. Das wohl berühmtestes Beispiel ist die Ausgrabungsstätte in Çatalhöyük in Anatolien.
Warum aber werden die matriarchalen Kulturen bis heute so stark bekämpft? Auch am Anfang eines jeden menschlichen Lebens steht eine Mutter, denn ohne eine gesunde Frau, die uns geboren und genährt hat, gäbe es uns heute überhaupt nicht. Je besser diese Frau, die wir unsere Mutter nennen, selbst genährt war, umso souveräner und liebevoller wird sie uns versorgt und behandelt haben. Und umso besser wir als Kind von ihr behandelt worden sind, umso resilienter werden wir heute sein. Oder eben gerade nicht, wenn sie uns unter schwierigen Umständen geboren und aufgezogen hat. Und das ist ja heute leider sehr gut erforscht wie sich die Traumata der Eltern auf ihre Kinder übertragen, und zwar nicht nur direkt durch ihr Verhalten, sondern auch durch die epigenetische Vererbung. Was mit der Psyche ihrer Kinder passiert, wenn Mütter in Einsamkeit, in Armut und nicht selten mit häuslicher Gewalt leben müssen, wenn die Mütter traumatische Kriegserlebnisse hatten, wenn sie körperlich, geistig und seelisch unterernährt sind, das wissen wir heute aus der modernen Psychologie. Und deshalb kann man es nicht oft genug wiederholen, nicht die Mütter sind daran schuld, wenn immer wieder neue traumatisierte Generationen heranwachsen, sondern die Umstände, in denen Frauen Gewalt erfahren und in denen Mütter immer wieder mit gutem Willen versuchen, ihre Kinder gesund aufzuziehen und dann meist doch genauso scheitern wie ihre vorangegangene Generation. Ich möchte sogar behaupten, dass es nicht besser wird, sondern dass dies ein fortschreitender, schleichender Prozess ist, mit dem sich die epigenetischen Traumata im morphogenetischen Feld der Menschheit (als Gesamtheit) anreichern. Wenn ich eines gelernt habe, dann ist es das, das eigene Scheitern nicht mehr persönlich zu nehmen. Sondern stattdessen die Systeme genauer anzuschauen, die Gewalt verursachen. Dadurch bin ich weniger streng und wohlwollender mit mir selbst und auch mit anderen geworden. Das macht die Genesung von Patriarchose leichter. Es gibt weniger Widerstand.
Brüderlichkeit beginnt im Kinderzimmer
Ein wichtiger Vorteil des Zusammenhalts in einem über die Mutterlinie verbundenen Klans ist: Die Trennung zweier Liebender hat keinerlei Auswirkung auf das Wohlergehen der daraus hervorgegangenen Kinder. Es gibt keine Scheidungswaisen, kein Gerangel um das Sorgerecht der Kinder, auch keinen emotionalen Druck und auch keine sexuellen Übergriffe auf Frauen und Kinder. In einem matriarchalen Haushalt sorgen die Brüder und Schwestern füreinander, die Brüder unterstützen die Kinder ihrer Schwestern, das verdiente Geld bleibt im Haushalt der Mutter, alle versorgen gemeinsam die Alten und Kranken. Pflegeheime, welcher Art auch immer, sind nicht notwendig. Auch eher verpönt. Die Kinder werden von klein auf darin bestärkt zusammen zu bleiben. Situationen, die zu Neid, Eifersucht und Konkurrenz führen, werden vermieden. Auch Überforderung einer einzelnen Person, an der alles hängt, gibt es eher nicht. Es sind immer genügend Menschen für die Kinder da. Dafür sorgen sie, indem zum Beispiel die Frauen mit Unterstützung ihrer Blutsfamilie die Verantwortung für ihre eigenen Schwangerschaften übernehmen. Sie sind sehr darum bemüht, dass sich die Anzahl der Menschen unterschiedlicher Generationen immer die Waage hält, überhaupt, dass alles immer im Ausgleich und in der Balance bleibt.
Dadurch, dass die leiblichen Väter nicht zur Verantwortung gezogen werden müssen, bleiben die erotischen Liebesbeziehungen frei von Alltagssorgen und dem alltäglichen Überlebenskampf. Unter diesen Umständen halten sie oft sehr lange. Es ist aber nicht das Ziel. In erster Linie geht es um die Freiheit durch Freiwilligkeit.
Schwesternschaft beginnt mit der Liebe zur eigenen Mutter
Nicht die Ablösung von der eigenen Mutter, wie es uns in jeder Therapie geraten wird, ist das Heilmittel. Ganz im Gegenteil. Eine gute Beziehung zur eigenen Mutter ist sogar förderlich für Beziehungsfähigkeit ganz generell, vor allem die unter Frauen. Ein Konkurrenz freier, liebevoller Umgang unter Frauen ist sehr befriedend für eine Gemeinschaft. Jede/r kann also bei sich selbst beginnen, um diesen ewigen Kreislauf der innerfamiliären Kriege zu durchbrechen, die uns Menschen nur schwächen und zu allzu willigen Konsumenten machen. Wir können uns mit der eigenen Mutter versöhnen und die Beziehung zu unseren Töchtern und Enkeltöchtern stärken. Die meisten Therapieformen, die ich kennengelernt habe, sollten mich fit machen, besser im Patriarchat überleben zu können und mir dabei helfen, weniger dagegen zu rebellieren. Aber die Matriarchatsforschung hat mir gezeigt, dass ich das Patriarchat, diese Lebensformel, die mit einem falschen Vorzeichen versehen ist, und die deshalb zu Leid führt, nicht unterstützen kann. Die Versöhnung mit meiner eigenen Mutter hat mich weiter gebracht, wenn auch woanders hingeführt. Also ich bin dadurch eher noch weiter weg gerückt, und falle dadurch noch weiter heraus aus diesem System. Und ich frage mich, wie können Menschen die Idee des Matriarchats und des Ur-mütterlichen Prinzips, also die Idee eines mütterlichen Denkens und Handelns in einem ganz allgemeinen Sinne, überhaupt zulassen, wenn sie im Unfrieden mit ihrer eigenen Herkunft sind?
Vierzig Tage lang kann eine junge Mosuofrau mit ihrem neugeborenen Kind im Zentrum des Hauses sitzen und sich ganz auf die Bedürfnisse ihres Säuglings einstellen. Das stärkt die Mutter-Kind-Bindung. Und dabei wird die junge Frau von allen anderen unterstützt und versorgt. Immer steht Essen für sie bereit und sie ist niemals allein. Wenn Kinder von klein auf miterleben, wie die eigene Mutter von allen geachtet, versorgt und geliebt wird, dann stärkt das auch ihr eigenes Selbstwertgefühl. Sie ist doch der Stamm, von dem wir nicht weit fallen. Kinder lernen durch Nachahmung, also wachsen sie selbstverständlich in diesen respektvollen Umgang mit älteren und jüngeren Menschen hinein. Pubertäre Schwierigkeiten gibt es in einem matriarchalen System so gut wie nie. Warum auch sollten junge Menschen gegen eine Familie rebellieren, in der alle ihre Bedürfnisse, immer alters- und geschlechts-spezifisch, respektiert und unterstützt werden?
Hier ist Mutterland
Durch den Zusammenhalt einer matriarchalen Mehrgenerationen Familie und durch die Freiheit in den Liebesbeziehungen, oft bezeichnet als „Besuchsehe“ (beispielsweise bei den Mosuo), werden also Scheidungswaisen, Gewalt und sexuelle Übergriffe auf Frauen und Kinder, Mütter-Armut und auch Pflegeheime jeglicher Art vermieden. Die Menschen bleiben freiwillig zusammen, nicht weil sie es müssen, nicht weil man es so macht, sondern weil es sich bewährt hat und weil jede/r darin geborgen und gleichzeitig frei ist.
Die Wahrung von Autonomie bei gleichzeitiger Verbindlichkeit der Beziehungen ist für mich heute ein hoher matriarchaler Wert. Unabhängigkeit und Verbindung zu gewährleisten, ist die eigentliche Aufgabe eines matriarchalen Klans. Denn die auf erotische Anziehung begründete Kleinfamilie, egal ob hetero oder homosexuell, führt in den meisten Fällen am Ende zu Abhängigkeit und Unsicherheit. Die Bedürfnisse nach Autonomie, Sicherheit und Verbindung können auf Dauer in solch einem kleinen Zusammenhang nicht erfüllt werden. Und dazu fehlt auch die soziale Kontrolle eines Klans, die Frauen, Kinder, und natürlich auch die Männer, vor Gewalt schützt.
Freiheit entsteht durch Wahrung der erfüllten sensitiven Phasen, d.h., sie können besser erfüllt werden, wenn niemand allein für ein oder mehrere Kinder zuständig ist. Je mehr verwandte Menschen sich verantwortlich fühlen und das auch verbindlich sind, umso freier sind die Einzelnen in der Auslebung ihrer alters- und geschlechtsspezifischen Bedürfnisse. Das führt dazu, dass die Alten entspannt für die Kinder da sein können, ohne den Druck zu haben, etwas aus der verpassten Jugend nachholen zu müssen. Und die jungen Menschen können gut für die Alten sorgen, wenn sie dafür nicht auf ihre altersgerechten Bedürfnisse verzichten müssen, was gelingen kann, wenn diese Aufgabe auf viele Menschen aufgeteilt ist. Jede/r ist zur rechten Zeit am rechten Platz. Alles bedingt sich gegenseitig.
Wie können auch wir matriarchale Werte wiederbeleben?
Da wir es nicht anders kennen, also, dass die Person, die vorne weg geht, auch herrscht, und Herrschen heißt, dass sie eher eigenmächtige Entscheidungen trifft, anstatt die Meinung der gesamten Gemeinschaft zu vertreten, kommt es natürlich schnell zu solchen Missverständnissen, ein Matriarchat sei – im Umkehrschluss zum Patriarchat – Frauenherrschaft. Matriarchate zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie egalitär sind, also Herrschaftsfrei und dass Entscheidungen im Konsens entschieden werden. Wir kennen das gar nicht, können es aber üben, beispielsweise in Gesprächskreisen, mit Verhandlungen am runden Tisch, mit Hilfe eines kreisenden Redestabs, mit dem systemischen Konsensieren* und mit dem aktiven Zuhören. Letzteres bedeutet ungeteilte, unbewertete Anteilnahme an dem, was unsere Mitmenschen bewegt. Und das ist ein sehr berührender Anfang mütterlichen Wohlwollens. Was können wir noch tun? Wir können uns über Bedürfnisse verbinden, darüber sprechen und über hilfreiche Strategien nachdenken und austauschen. Und wir können lernen, Bedürfnisse miteinander zu verhandeln, anstatt über Strategien zu ihrer Erfüllung zu streiten. Damit entwickeln wir ganz automatisch nach und nach matriarchale Werte, weil sich unsere innere Haltung verändert und weil wir beginnen, sie ganz selbstverständlich in unserem Alltag praktisch umzusetzen. Wichtig ist es, darauf zu achten, dass wir im Kreis bleiben, das heißt, dass niemand herrschend vorne weg geht. Fragen, die uns alle betreffen, können wir beantworten, in dem wir sie in den Raum stellen und dann einen Redestab solange kreisen lassen, bis sich ein Konsens herausgebildet hat, mit dem alle mitgehen können. Dabei steht jeder Beitrag als Geschenk und gleichwertig neben allen anderen.
Selbstfürsorge als Voraussetzung für Mitgefühl
Wenn ich mir das Wort MATRI anschaue, dann steckt darin der Urlaut MA, wie in MAMA = Ma, Mam, die Brust (in Mammografie), und TRI für die 3, „Aller guten Dinge sind DREI“ wie Sonne, Mond und Erde, ELE, MEN und TAR, ein Dreiergespann, oder besser Gestirn, das Leben möglich macht? Ist TRI, die DREI, also etwas ganz elementares für unser Leben hier auf der Erde? Ein Dreibein ist der sicherste Stand auf unebenem Boden. Aus den drei Grundfarben »ROT-BLAU-GELB« lassen sich alle anderen Farben
mischen. Wir kennen die drei Wünsche einer Fee aus den Märchen. Die drei Jungfrauen gibt es mit unendlich vielen Namen in fast allen Kulturen. Wurzel-Stamm-Krone, Blüte-Frucht-Same, um nur ein paar der Ringel-Ringel-Reihe, wir sind der Kinder Dreie zu nennen. Es lohnt sich, dem mal auf die Spur zu gehen. Ich persönlich übersetze das Wort MATRI-arché gerne als ein System, in dem die Mutter MA-TRI, die nicht nur gebiert, sondern auch ernährt, wie Mutter Erde, also als Mutter im Sinne von »elementarer Nahrung«, die am Anfang aller unserer Entscheidungen steht. Und unter elementarer Nahrung verstehe ich dabei nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige und die emotionale Nahrung, eben rundherum alles für den Körper, den Geist und die Seele. Eine rundum ausgewogen erfüllte Platte* ist also das Ziel und ein matriarchaler Wert. Nach guter gehaltvoller Nahrung für einen gesunden Körper, für eine unversehrte Seele und einen reichen, bewussten Geist zu streben, und das möglichst für alle … könnte das ein Weg zurück ins Matriarchat sein? Jede/r kann zuerst einmal bei sich selbst anfangen und dafür sorgen, dass die eigene Platte* ausgewogen erfüllt ist.
Was wir in den Matriarchaten beobachten, ihre egalitäre Sozialkultur, ihre Einstellung zur Ehe, ihre Familienstruktur, ihre freie Kindererziehung, ihre Spiritualität, das Konsensprinzip für alle ihre Entscheidungen …. all das sind ihre Strategien, mit denen sie sich darum bemühen, möglichst ausgewogen die Bedürfnisse aller zu erfüllen. Denn das ist die Voraussetzung für Frieden, einem Frieden durch Zufriedenheit und Souveränität jedes Einzelnen. Es sind die Strategien, für die sie sich entschieden haben, unter Umständen, wie gesagt, weil sie sich über einen langen Zeitraum gut bewährt haben.
Wenn wir tiefer verstehen, dass das, was wir bei anderen beobachten, ihre persönlichen Strategien sind, mit denen sie versuchen, möglichst viele Bedürfnisse für möglichst viele Beteiligte zu erfüllen, brauchen wir nicht mehr darüber zu richten. Es ist dann nicht mehr wichtig, ob uns gefällt was und wie es andere machen, wir müssen es nicht mehr als richtig oder falsch einstufen, wir müssen es auch nicht mehr moralisch und ethisch bewerten, denn wichtig allein ist das Ergebnis. Wir haben und nehmen uns das Recht, andere, uns persönlich entsprechende Strategien zu entwickeln, mit denen wir zu demselben Ergebnis kommen. Und dann sind auch diese genauso richtig. Wenn sie funktionieren und nicht statisch werden. Statisch bedeutet, dass Dinge auch dann noch vehement vertreten werden, wenn sie schon lange nicht mehr hilfreich sind, oder wenn keiner mehr ihren Ursprung und Sinn versteht. Denn das Ergebnis sollte immer sein, dass möglichst viele, im Idealfall alle Menschen, ein erfülltes Leben führen können, und das im Einklang mit allen anderen Menschen und auch mit allen anderen Lebewesen. Und das können wir überprüfen, wenn wir eine Einigkeit darüber finden, was authentische Bedürfnisse sind und was sie von Suchtdruck unterscheidet. Dann tragen unsere unterschiedlichen Werte und Strategien zu ihrer Erfüllung zu Diversität und Kreativität bei, anstatt uns voneinander zu trennen. Eben genau so, wie es Mutter Erde, wie es die Natur macht, immer mit ein und demselben Ziel, nämlich ein leichtes, gelungenes, erfülltes Leben zu führen. Das zeigt sich in ihrer ursprünglichen Artenvielfalt, die wir Menschen aber nun nach und nach zerstören. Und diese Degeneration ist inzwischen nicht mehr nur auf unsere Mitgeschöpfe bezogen, sondern auch auf uns selbst. Denn auch wir Menschen domestizieren uns selbst nach und nach zu einer Art Massen-Monokultur.
Matriarchale Menschen sind resilienter gegen Konsumsucht
Gut gebundene Kinder sind weniger Sucht anfällig. Vorgelebte funktionale Familien mit tragenden Beziehungen sind die erste und die beste Schule für eine friedfertige nächste Generation. Wahre Brüderlichkeit und gute Schwesternschaft beginnt in der Familie. Gute verwandtschaftliche Beziehungen sind eine starke Kraft. Sie geben uns emotionale Heimat und die Wurzeln, die wir benötigen, um sicher zu fliegen. Kinder brauchen Vorbilder, um Kommunikation zu lernen. Also jede Menge Menschen, die miteinander reden, und die im besten Falle Bedürfnisse miteinander verhandeln, anstatt sich über Strategien zu streiten. Denn Kinder schauen sich alles bei uns Erwachsenen ab.
Sie tun nicht das, was wir ihnen sagen, dass sie tun sollen, sondern sie machen genau das, was wir selbst tun.
In einem Haushalt, in dem es nur zwei Erwachsene gibt, von denen die eine Person vielleicht noch viele Stunden außer Haus arbeitet, ist das nicht einzulösen. Und friedlich wird es auch im Kinderzimmer nicht zugehen, wenn diese zwei Personen dann noch zwei „Liebende“ sind, die permanent übermüdet und überfordert miteinander streiten und aus Hilflosigkeit herumschreien. Im Gegenteil, dann werden auch die Kinder nur gelernt haben miteinander zu streiten und herumzuschreien. Und später? Dann streiten sie sich um das Erbe. Und anstatt einen großen starken Haushalt zusammenzuhalten, zerfallen wir in immer kleinere Monokultur-Stückchen, sprich in das kleinste Teichen an Familie, das überhaupt möglich ist, in eine überforderte alleinerziehende Mutter mit einem Kind. Bei wem und welche Kommunikation kann sich ein Kind in diesem System abschauen?
Matriarchat bedeutet heute für mich, dass zuerst einmal dafür gesorgt wird, dass es den Müttern gut geht. Und dafür braucht es auch finanzielle Lösungen, damit Frauen nicht mehr abhängig sind von einem (unter Umständen gewalttätigen) Mann, der das Geld nach Hause bringt. Unseren Kindern, der nächsten Generation zuliebe sollten die Frauen auch nicht mehr durch Doppelbelastung in Burnouts geraten müssen. Des weiteren ist matriarchal für mich, dass wir uns darum bemühen, als Schwestern und Brüder in Liebe verbunden zu sein, frei von Eifersucht, Neid, Missgunst und Konkurrenz. Dazu ist es hilfreich, eine gewaltfreie, Bedürfnis orientierte, wertschätzende Sprache zu üben. Eifersucht und Neid sind keine schlechten Eigenschaften, sondern schmerzhafte Gefühle, die uns, wie Seismografen, auf unerfüllte Bedürfnisse hinweisen. Dieses Denken fördert einen ganz anderen Umgang mit unseren eigenen, aber auch mit den Gefühlen unserer Kinder und auch allen anderen Mitmenschen. Ich unterscheide heute nicht mehr zwischen gut und böse, falsch oder richtig, sondern beurteile Dinge fast nur noch in hilfreich, weniger hilfreich und gar nicht hilfreich. Auch das macht sehr viel aus.
Matriarchal bedeutet für mich auch, dass sich die Kinder frei entfalten können, dass sie ihren authentischen Bedürfnissen und sensitiven Phasen entsprechend unterstützt werden und dass ihnen ihre natürlich gegebene intrinsische, wissbegierige Motivation nicht mehr mit Bewertungen zerstört wird. Dafür ist es hilfreich die verwandtschaftlichen Beziehungen zu pflegen oder auch Freundschaften, durch die wir unseren Kindern viele verschiedene verbindliche Bezugspersonen anbieten können. Kinder, die in einem Gewalt freien System, frei-willig das lernen können, was ihnen gerade entspricht, wachsen zu selbstbewussten, friedlichen, eigenmächtigen Menschen heran. Jedes System, das manipulativ Konkurrenzdenken fördert, ist subtile Gewalt. Zurück ins Matriarchat bedeutet für mich also in erster Linie, dass wir gewaltfreie Systeme entwickeln, das heißt für mich unter anderem, dass wir auch über Familienmodelle nachdenken, in denen die erotische Liebe frei ist von Alltagssorgen und Existenzängsten und in denen innerfamiliäre Fürsorge für die Alten, die Hilfebedürftigen und Kranken übernommen werden kann, ohne dass einzelne Personen ausbrennen. Das ist notwendig, damit wir die Pflegeheime, und zwar vom Waisenhaus bis hin zum Altersheim, abschaffen können. Denn hier geschieht sehr viel subtile Gewalt und unnötiges Leid für alle Beteiligten, also nicht nur für die Bewohner
*innen, sondern auch für die unterbezahlten Pflegekräfte.
Ich möchte behaupten, dass in der Heilung unseres Familienlebens die Heilung der Menschheit beginnt. Denn die Familie ist der Beginn* und zwar entweder allen Elends und Leids oder aller Freude und sozialen Intelligenz. Und dies liegt auch in unserer eigenen Hand. Unsere eigenen Strategien zur Erfüllung unserer Bedürfnisse können wir verändern. Hier haben wir tatsächlich Macht, die Eigenmacht, mit der wir tatsächlich nachhaltig etwas verändern können. Anmerkung: Und übrigens, die meisten authentischen Bedürfnisse lassen sich nicht mit Konsumgütern erfüllen.
Das Bild für »Matriarchat«, das ich gefunden habe und mit dem ich am besten ausdrücken kann, was »matriarchal« für mich bedeutet, und zwar als eine übergeordnete Philo-Sophia (im Sinne von Liebe zur Weisheit), ist ein Sudoku aus neun Grundbedürfnissen anstatt Zahlen. Jeder Mensch hat dieselben Bedürfnisse. Das ist das, was uns alle miteinander verbindet. Wir können die authentischen Grundbedürfnisse unter den neun wichtigsten Oberbegriffen zusammenfassen und dann in das magische Quadrat, es ist das kleinste Sudoku, eintragen. Pro Person ein Quadrat, aneinandergereiht. In einem Matriarchat sind wir darum bemüht, dass es allen gleichermaßen gut geht, das heißt, dass in einem größeren Sudoku jede Reihe aufgeht. Es geht nicht um Perfektion, sondern um ein (göttliches) Ideal als Ziel, das uns, in dem Wunsch es zu erreichen, bewegen sollte. Die Menschheit hatte schon viele große Ziele und davon Dinge, die fast unmöglich erschienen, erreicht. Warum also nicht auch dieses? Die Intelligenz dazu hätten wir doch, oder etwa nicht?
Weiterführende Literatur findet man u.a. im Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim. Zwei Bücher aus diesem Verlag kann ich als „Einstiegsdroge“ wärmstens empfehlen: »Am Herdfeuer, Aufzeichnungen einer Reise zu den matriarchalen Mosuo« von Dagmar Margotsdotter, und »„Familie als Beginn”, (k)ein Vergleich« von Fricka Langhammer.
Autorin:
Li Shalima