Hinweis:
Die Sonderausgabe WALNUSSblatt Nr. 6 mit Li Shalimas Artikel kann auch hier als PDF Datei gelesen und heruntergeladen werden:
Ein lebendiger Umgang mit Tod und Trauer – kann er die Angst vor dem Leben vertreiben?
Im Frühjahr diesen Jahres lerne ich über meine im WALNUSSblatt veröffentlichen Artikel, in denen ich über die Arbeit mit der Bedürfnisplatte geschrieben hatte, eine Künstlerin aus dem Bergischen Land kennen. Sie ist begeistert von meinen Texten und spontan überzeugt von der Übungsmethode und bestellt bei uns, dem Verein „Alphabet für erfülltes Leben”, den Koffer mit den Materialien für die Gesprächskreise. Dann lädt sie mich für ein kleines Einführungsseminar zu sich nach Hause ein.
Mich erwartet eine kleine Gruppe sehr offener, interessierter Menschen, denen ich die Methode vorstellen darf. Und seit dem gibt es nun auch im Bergischen Land eine regelmäßige Übungsgruppe, in der Menschen autonom, gemeinsam das empathische, nicht bewertende Zuhören üben und sich über ihre Strategien zur Erfüllung der uns alle miteinander verbindenden Bedürfnisse austauschen. Kurz für diejenigen, die meine Artikel nicht gelesen haben: Wir fassen diese Übungsmethode unter dem Begriff „wertschätzende Sprache” zusammen, aber es ist viel mehr als das. Es geht darum, Werte und Strategien klar von echten authentischen Bedürfnissen zu unterscheiden. Denn die Bedürfnisse sind das, was uns Menschen alle miteinander, aber auch mit den Tieren und Pflanzen verbindet. Die Bedürfnisse sind für uns alle gleich. Was uns unterscheidet, das sind unsere Werte, die wir für unsere zwischenmenschlichen Vereinbarungen benötigen und unsere Strategien, die dazu dienen, uns unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Und diese sind so vielfältig wie es Menschen und Kulturen auf dieser Erde gibt. Es gibt hilfreiche und weniger hilfreiche Strategien. Wir lernen zuerst einmal die Unterscheidung der Begrifflichkeiten, also u.a. all die Worte für echte authentische Bedürfnisse, die ich „die Vokabeln der Liebe” nenne. Denn wenn wir die Bedürfnisse klar erkennen und benennen können, kommen wir in unsere Eigenmacht und entwickeln ganz automatisch wieder unsere ursprüngliche matriarchale, sprich Bedürfnis-orientierte innere Haltung und im Außen sichtbare Lebensweise. Denn Matriarchat bedeutet ja nichts anderes, als dass die gute Versorgung aller beteiligten Menschen in unserer Gemeinschaft an erster Stelle steht. Und das gilt im Matriarchat für den kleinsten Kern der Gesellschaft, die Familie, genauso wie für den großen globalen Verbund aller Lebewesen. MA-TRI-arché heißt im Grunde nichts anderes als „elementare Nahrung steht am Anfang”. Arché heißt „am Anfang” und MATRI, die Mutter, meint nicht nur die Gebärende, sondern vor allem die Nährende. Matriarchat ist nichts, was nur Frauen betrifft, es ist auch nichts Exotisches, nichts Utopisches oder lang Vergangenes, sondern etwas in uns allen und tief in unserem wahren Kern Verwurzeltes, ohne das das Patriarchat und der Kapitalismus nicht existieren könnten. In den Gesprächsrunden kommen wir u.a. auch den wenig hilfreichen Strategien auf die Schliche, mit denen wir, zum Beispiel, eher versuchen unsere Angst zu vermeiden und/oder schmerzhafte Gefühle zu betäuben, als uns unsere wahren Bedürfnisse zu erfüllen. Aber dazu später noch etwas mehr. Mehr Info dazu findet Ihr auch hier:
www.wertschaetzende-sprache.jimdofree.com und www.lishalima.jimdofree.com
„Verluste betrauern” und „Trost” gehören zu den Grundbedürfnissen
Nun erst einmal zurück zu Silke Busch. Im Anschluss an das Seminar, am darauf folgenden Sonntag führt sie mich durch ihr Reich und auch in ihr Mosaik-Atelier. Dabei spricht sie über ihre Arbeit und erzählt mir sehr lebendig die Geschichten, die hinter jedem ihrer Werke stecken. Sie berichtet mir ausführlich und sehr anschaulich die spirituellen Prozesse, in denen ihre Kunst entsteht. Manchmal dauert das über mehrere Jahre hinweg, sagt sie, bis ein Werk vollendet ist. Und es hat immer einen direkten Bezug zu ihrem eigenen Leben und zu ihren eigenen Werten. So erzählt sie mir unter anderem davon, wie eines Tages ihr geliebtes Pony tot auf der Weide lag und sie dann mit der Unterstützung kompetenter Menschen, ihre Trauer ganz praktisch verarbeiten konnte. Was bedeutet, dass heute in ihrem Haus eine riesige Motherdrum (Muttertrommel) und mehrere Rahmentrommeln hängen, die sie selbst aus der Haut des Tieres gebaut hat. In ihnen lebt das Pferd nun weiter und kann Gutes tun. Und zwar in einem ganz praktischen Sinne.
Ich habe selbst einmal eine Trommelsession unter solch einer Motherdrum erlebt und weiß deshalb wie tröstlich und heilsam diese Klangbehandlung und wie hilfreich sie bei der Trauerbewältigung sein kann. Es geht in Silkes Arbeiten überhaupt sehr viel um den Tod und um eine sehr bewusste Beerdigungs- und Trauerkultur. Unter anderem steht in ihrem Schlafzimmer auf einer Kommode ganz selbstverständlich eine selbst gestaltete Urne aus biologisch abbaubaren Materialien, Knochenleim, Papier und natürlichen Farben. Darin befinden sich jetzt zu Lebzeiten all ihre wichtigsten Papiere, die gedacht sind für die Menschen, die später einmal ihre Toten-Nachsorge übernehmen werden. Ein wunderschönes Mosaik mit dem Titel „der Weg ins Licht” hängt außen an ihrer Hauswand. Es entpuppt sich als Grabstein, den sie jetzt zu Lebzeiten schon mal vorsorglich für sich selbst gestaltet hat. Im Übrigen mit sehr viel Kreativität und Freude daran. Auch das „letzte Hemd” hat sie sich schon genäht. Ich bin beeindruckt und will das alles sofort nachmachen. Und auch endlich mal meine eigene Patientenverfügung in Angriff nehmen. Ich erfahre, dass sie all diese Dinge, die für unseren eigenen Tod oder auch für die Zeit nach dem Ableben eines geliebten Menschen hilfreich, wichtig und notwendig sind, zusammen mit zwei anderen Künstlerinnen, als Gemeinschaftsseminar (Trilogie) anbieten wird. Ich selbst habe nach dem frühen Tod meiner Schwester vor vielen Jahren einen kleinen Stein bearbeitet. Das hat mir damals sehr geholfen. Ich bin beeindruckt von der Ästhetik, aber vor allem von dem spirituellen Hintergrund all ihrer künstlerischen Arbeiten. So nehme ich auch freudig ihre Einladung an, sie einige Wochen später noch einmal zu besuchen, um bei einer Ausstellungseröffnung dabei zu sein.
Wie kommt Kunst ins Leben?
Bei meinem zweiten Besuch erschließt sich die spirituelle Dimension ihrer Arbeiten noch mehr und ich verstehe sie noch tiefer. Denn das, was mich am meisten berührt hat, ist ihr Mut, dem Tod so offen zu begegnen und durch die direkte Auseinandersetzung damit, dem Leben eine besondere Tiefe und dem Tod eine besondere Würde zu geben. Warum ich heute darüber schreibe? Weil auch unsere Sterbe- und Trauerkultur wie so vieles in diesem kapitalistischen Suchtsystem, sehr verkümmert, oft so ärmlich, kalt und wenig tröstend ist. Der distanzierte Umgang mit sterbenden und trauernden Menschen ist für mich ein starker Ausdruck dessen, wie weit wir uns vom eigentlichen Leben entfernt haben. Anstatt das Leben und auch den Tod zu feiern und die Trauer zu zelebrieren, entwickeln wir mehr und mehr Strategien, um unseren Gefühlen auszuweichen.
Und ich sehe überall, dass wir mit all diesen fehlgeleiteten Wünschen nach Dingen und immer neuen technischen Erneuerungen, die niemand wirklich braucht und die niemanden wirklich geistig und emotional satt machen, dass wir genau damit unsere eigene Lebensgrundlage, Mutter Erde, ausbeuten und zerstören. Und diesen Schmerz über die verloren gegangenen Bedürfnisse, den wir mit all unseren Suchtmitteln und immer noch mehr Suchtmitteln zu verdrängen und zu betäuben suchen, wird ja nur immer größer, umso weniger sich unsere eigentlichen Bedürfnisse erfüllen. Jedes unerfüllte Bedürfnis ist ein kleiner Verlust, der Schmerz auslöst, der nun wieder betäubt werden muss. Das ist ein Kreislauf, in den wir durch all die Kriege geraten sind, den wir aber durchbrechen können. Denn wenn wir wieder lernen uns unsere eigentlichen Bedürfnisse zu erfüllen, dann sind wir auch wieder eingebunden im Kreislauf der Natur. Und da gehört der Tod ganz natürlich und selbstverständlich dazu.
Der Kreativität sollte auch hier keine Grenzen gesetzt sein, wie Menschen ihre Verluste betrauern. Matriarchale Kunst entsteht aus dem Bedürfnis heraus, dem, was uns im Alltag bewegt, einen Ausdruck zu verleihen. Sie, die Kunst, dient der Gemeinschaft, den Ritualen und ist ein Ausdruck unserer Spiritualität. „Ausdruck” gehört auf die Bedürfnisplatte.
Trauerkultur dient den Lebenden
Die Veranstaltung des Kunstvereins GRUPPE NEUN findet auf einem Friedhof1 statt. Und ich bin fasziniert! Dies hier ist ein Friedhof wie ich ihn noch nie gesehen habe und wie ich ihn mir für alle Menschen wünsche. Hier ist alles erlaubt, was die Hinterbliebenen eines verstorbenen Menschen tröstet. Ich entdecke auf einem Grab sogar eine echte E-Gitarre anstatt eines leblosen Steins. In einem steil ansteigenden Wald wandelt man über verschlungene Wege, es gibt eine kleine Quelle und einen Bach, über den eine kleine Brücken führt. Ich entdecke sehr verschieden gestaltete Ecken für die Ehrung der Verstorbenen. Da scheint alles dabei zu sein, von sehr würdevoll, künstlerisch hochwertig bis hin zu total verspielt. Sogar ein kleines Trauerhaus speziell für Kinder entdecke ich. Allein über diesen Ort ließe sich ein ganzer Artikel schreiben.
Silkes Trilogie steht vor der Friedhofsbühne. Ein sehr lebendiges Programm zum Thema „Space” im Sinne von „Leere” und „Raum” wird uns dort geboten. Die drei runden Mosaike von Silke Busch ruhen auf speziell dafür gefertigten großen Metallständern. Die Abendsonne fällt durch das Blätterdach des Waldes, ein leichter Wind geht und die drei Bilder scheinen in diesem besonderen Licht ein Eigenleben zu führen. Ich erkenne die „drei Farben der Göttin”. Sie werden vielleicht so bezeichnet, weil es die drei ersten Farben sind, die Menschen überhaupt zum Gestalten von Bildern verwendet haben? Das Schwarz der Kohle, Kalkweiß und rote Erde finden wir auf sehr vielen uralten Figurinen, und das auf der gesamten Welt. Bis heute scheinen diese drei Farben ihre Magie für uns Menschen nicht verloren zu haben und wurden sogar in der Nazizeit ganz bewusst benutzt, um die Menschen subtil zu manipulieren. (Siehe hierzu „Das Rätsel der Farbe” von Margarete Bruns, Reclam)
Und hier die Geschichte von Silke Buschs Arbeitsprozess dazu:
In dem schmalen Tal auf ihrem Grundstück sollen sich den Angaben einer alten indigenen Großmutter nach, die sie besucht hatte und die sehr feinfühlig ist, Gräber aus der Zeit der Inquisition befinden. Sie sagte damals zu Silke, dass es kein guter Ort sei, um in die eigene Kraft zu kommen. Für Silke war es aber noch nicht an der Zeit den Platz zu verlassen. Stattdessen beginnt sie, eine Mosaik-Skulptur zu gestalten mit dem Titel „Seelen, die ans Licht wollen”. Zur Aufstellung und Einweihung des Werkes lädt sie Menschen an Allerseelen zu einem gemeinsamen Ritual ein. Einige Jahre zuvor, noch unwissend, hatte sie ihre geliebte Familienhündin dort unten in dem Tal begraben. Während des Rituals hört sie diese immer wieder als eine innere Stimme rufen, mit der Bitte sie dort herauszuholen. Und als auch ihr Sohn davon spricht, dass ihm Toffie während des Rituals sehr präsent war, entschließt sie sich nach einiger Zeit inneren Ringens, es tatsächlich zu wagen. Achtsam legt sie das Grab frei und entdeckt die sauberen Knochen, die noch in derselben Position in dem noch gut erhaltenen Tuch liegen, in dem sie das Tier damals eingewickelt hatten. In einem jahrelangen Prozess verarbeitet sie nun die Knochen ihrer geliebten Hündin, die sie noch mal sorgfältig gereinigt hat, in drei Mosaiken, die ich nun bei dieser Veranstaltung immer vor Augen habe und bewundere. Ich bin nicht nur beeindruckt von ihrer Schönheit, sondern auch von der starken Symbolik, die ich darin erkennen kann. Ich sehe ein uraltes, tiefes Wissen, das Silke Busch, wie sich hinterher herausstellt, nicht immer bewusst eingesetzt, sondern viel mehr und sehr oft intuitiv aus dem kollektiven Unterbewusstsein unserer menschlichen Frühgeschichte abgerufen hat.
Die „Weiße”, sie steht für Geburt, „gerade erst geboren und aller Erfindungen fähig”2, trägt den Schädel des Hundes in der Mitte eines achtspeichigen Rades. Sehr klar ist diese Komposition und nach unten ausgerichtet. Das Symbol des Rades finden wir fast überall auf der Welt. Ein Kreuz im Kreis, es ist das älteste Symbol, das man bisher gefunden hat. Es steht u.a für die vier Himmelsrichtungen. Die acht Speichen des Rades symbolisieren u.a. die Qualitäten der acht Jahreskreisfeste und die acht Weisheiten des Medizinrades. Übrigens heißt die 8. Tradition: „Alles ist aus dem Weiblichen geboren.” und die 7. Tradition: „Universelle Wahrheit führt zu richtigen Handlungen.” Unter dem Schädel des Hundes ist außerdem noch ein X zu sehen. Tatsächlich ist unter genetischen Aspekten gesehen alles aus diesem X, dem Chromosomen für das Weibliche, geboren. Das Y ist ein Teil davon. Das X verbindet alle Geschlechter miteinander. Das X entsteht auch wenn wir die Punkte am Horizont zum Sonnenauf- und Untergang zur Winter-Sonnenwende mit den Punkten der Sommer-Sonnenwende verbinden. Wir machen ein X, wenn wir in einem Formular eine Frage bejahen oder machen drei Kreuze XXX, wenn uns ein Stein vom Herzen fällt oder wenn wir als Analphabet etwas unterschreiben. XXX = „aller GUTEN Dinge sind DREI / TRI” ist das Zeichen für die Urmutter ACCA, wir erkennen es heute noch in dem Wort Acker und Accademia/Academie.
Der Höhepunkt meines Lebens? Vielleicht der Tod?
Das schwarze Bild, Silke Busch hatte es damals als erstes begonnen, steht für die Weisheit der Alten. Die Schwarze, „Die uralte Weise, die den Schlüssel hält und zu der alle Dinge zurückkehren”2, die Alten, die Weisen hüten das Wissen des Lebens. Die Großmütter helfen bei den Geburten, pflegen die jungen Mütter in den ersten 40 Tagen danach. Sie beschützen uns mit ihrem Wissen vor den Gefahren in der Natur. Genauso schützen sie die Natur vor unseren menschlichen Dummheiten. Das sind die Aufgaben der Alten in matriarchalen Zusammenhängen. Dafür steht die rotweiße Mitte, sagt Silke Busch. Die weißen Rippenknochen der Hündin umschließen symbolisch ein rotes pulsierendes Herz. Schwarzen Schiefer, sowohl aus Deutschland als auch aus Irland, woher ihre Hündin ursprünglich stammte, hat sie ganz bewusst im Wechsel angeordnet, einmal nach außen und einmal nach innen gerichtet. Auch hier bestimmen acht Felder die Komposition. Das schwarze Bild steht für das Leben und für den Tod, mit dem wir uns zurück in die Welt verstreuen. So steht das Bild also auch für den Moment, in dem wir uns verschenken, in dem wir unseren Leib der Erde zurückgeben in den Nahrungskreislauf der Natur.
Ich selbst habe die Vorstellung, dass wir Menschen alle am Tag unseres Beginns, vielleicht bei der Zeugung, aus einem großen Topf gemeinsamen menschlichen Seelenstoffs schöpfen. Ich persönlich glaube nicht an die individuelle Wiedergeburt, sondern habe eher die Vorstellung, das wir uns alle einen gemeinsamen Seelenstoff teilen, den wir auch gemeinsam epigenetisch verändern und weiterentwickeln. Und dass die Aufgabe meines Lebens ist, diesen meinen individuellen einzigartigen Tropfen zu veredeln. Denn am Tag meines Todes, der hoffentlich der Höhepunkt meines Lebens sein wird, werde ich diesen veredelten Seelenstoff als einen homöopathisch wirksamen Tropfen zurück in den großen gemeinsamen Topf geben, der uns Menschen alle miteinander verbindet und aus dem die nächsten Generationen wieder schöpfen werden. Diese Vorstellung gibt meinem Leben einen Sinn. Mit diesem Gedanken bereite ich mich jeden Tag, mal schlechter, mal besser auf den Höhepunkt meines Lebens vor. Und ich hoffe sehr, dass ich gesund sterben darf, dass ich diesen Moment ganz bewusst und bei vollstem Bewusstsein aller meiner Sinne erleben werde.
„Geburt” und „Fortpflanzung” als Grundbedürfnisse
Geburt und Fortpflanzung, zwei Bedürfnisse, die mehr in sich tragen, als nur die sexuelle Fortpflanzung. Geburt ist vor allem das Bedürfnis danach, dass etwas fertig werden und in die Welt hinaus getragen werden darf. Dass sich eine Idee materialisieren, sich zeigen und erkannt werden darf. Dass sich die Hoffnung erfüllt, dass etwas weitergeht, dass sich etwas nachhaltig fortpflanzen darf, womit sich auch das Bedürfnis nach Wirksamkeit erfüllt. Das symbolisiert unter anderem das ROTE Bild in der Mitte. „Die Mutter, die sich selbst enträtselt aus dem Netzwerk, das uns trägt.”2 Es ist für mich fast das schönste der drei Bilder. Aber ich bin irritiert. Der Gedanke lässt mich nicht los, dass ich im Anschluss an die Veranstaltung Silke unbedingt fragen muss, ob sie bereit wäre, das Bild einmal um 180° zu drehen. Und tatsächlich reagiert sie sehr offen darauf, tut es, probiert es aus und sieht und versteht sofort, warum es auch so sein darf. „Jetzt wird mir auch klar, warum die spiegelsymmetrische Anordnung des Außenkreises, die mich irritiert hatte, genau so liegen bleiben wollte. Die heilige Ordnung bleibt erhalten, egal wie herum ich es drehe.” sagt Silke Busch selbst dazu. Was sieht man auf dem Mosaik: aus dem Beckenknochen der Hündin entsteht eine Art Bäumchen. Eine dreimal übereinander liegende wiederkehrende Form, die an eine Gebärmutter oder an einen Tierschädel mit gebogenen Hörnern erinnert. Ich muss spontan an die Malereien in den Häusern der matriarchal lebenden Kabylen in Nordafrika denken. Sogenannte Rautenbäumchen oder übereinander gezeichnete Dreiecke als Symbol für die Mütterlinie eines Klans finden wir fast zu allen Zeiten und fast überall auf der Welt. Die Raute als Symbol für das Tor des Lebens und das Dreieck als Symbol für den Mutterschoß, ein Stier- oder Kuhschädel als Symbol für den Gebärmutterraum unserer Urmutter, alle diese Symbole, gemalt als Wandbild oder an der tragenden Mittelsäule eines Hause, gestickt auf der traditionellen Kleidung, als Muster gewebt in den Tüchern und Decken, eingeritzt in Felsen, als Skulpturen in den Gräbern, und und und, sind das nicht alles Hinweise dafür, dass die matriarchale Lebensweise, sprich ein mütterliches Denken und Handeln (allem Leben gegenüber), die ursprüngliche Art des Menschen ist? Auch das Labyrinth, die Matrioschka, die Spirale, das Mäander, die Labrys sind eng verwandt mit diesen Symbolen und eingebunden in eine uralte, bis heute gepflegte Mutter-Tradition. Denn sie alle erinnern uns an die für den Fortbestand des Lebens notwendige Balance in allem.
Alles im Universum strebt nach Ordnung und Balance. So wie die Menschen auf der Südhalbkugel immer die gegenüberliegende Jahresqualität zu feiern haben, so wie sie beispielsweise die Wintersonnenwende feiern, wenn wir hier auf der Nordhalbkugel die Sommersonnenwende feiern, so wie die Menschen in Australien und Südamerika ernten, wenn wir hier in Europa gerade säen. Weil in der Natur immer alles im Gleichgewicht ist. Geboren werden und sterben, kommen und gehen, nehmen und geben, genährt werden und sich selbst verschenken, alles muss im Ausgleich und in der Balance sein. Trauern und Trost und Anteilnahme und genauso auch Mitfreude, wenn andere Erfolge feiern, gehören zum Leben. Auch unsere eigene „Bedürfnisplatte” sollte möglichst ausgewogen und immer in der Balance sein. Denn dann sind wir sicher, entspannt und zufrieden und können souverän auf die Herausforderungen des Lebens reagieren. Je weniger Angst wir haben, umso friedlicher agieren wir auf eine mütterliche, sprich matriarchale ART&weise. Denn matriarchal bedeutet ja, wie gesagt nichts anderes, als Bedürfnis orientiert zu fühlen, zu denken und zu handeln, für mich selbst und für andere.
Habe ich ein Recht auf ein würdevolles selbstbestimmtes Sterben?
Das Recht darauf in Würde sterben zu dürfen, wenn unsere Zeit, wenn unsere sensitive Phase dafür gekommen ist, sogar das ist uns in diesem Mangelsystem, in dem wir leben, verloren gegangen. Gut begleitet, im Kreis von Menschen, mit denen wir verbunden sind, die uns lieben und schätzen, ganz bewusst den letzten Atemzug zu machen, wer hat heute schon diese Vorstellung, wenn überhaupt diese Möglichkeit? Anstatt zu spüren, wenn und wann es bei einem Menschen soweit ist, und diesem Menschen dann die Selbstverantwortung und Würde zu lassen, selbst wenn er oder sie dement ist, anstatt sie oder ihn eigenverantwortlich sterben zu lassen, werden in Altersheimen manchmal Menschen aus falscher Sorge würdelos gequält. Um jeden Preis und zum Teil mit sehr viel Gewalt wird dann versucht, ihr Leben zu verlängern, obwohl sie selbst und auch ihr Körper entschieden haben, nicht mehr zu essen und zu trinken. Geburt und Tod ist nichts Natürliches mehr in unserer Gesellschaft. Aber an vielen Orten entwickeln Frauen wieder die Kultur der sanften, selbstbestimmten Geburt in geschützten Räumen. Und es gibt immer mehr Menschen, die sehr kreativ nach einer liebevollen Sterbe- und Trauerkultur streben. Wenn wir den Tod bewusst und mit Liebe in unser Leben integrieren, vielleicht müssen wir dann die Auseinandersetzung damit und die eigene Vorsorge dafür nicht verdrängen und verschieben. Wenn wir es jetzt tun, können wir uns noch aktiv dafür einsetzen, wie wir gepflegt, wie wir sterben, wie wir beerdigt und wie wir selbst gewürdigt werden möchten. „Würdigung” ist auch ein Grundbedürfnis. Für mich ist die Auseinandersetzung mit meinem eigenen Sterben eine Würdigung meines eigenen Lebens.
Dass das Ausgraben der Knochen eines geliebten Verstorbenen gar nicht so abwegig ist, zeigen uns andere Kulturen mit anderen Sitten. Und dass das auch überhaupt nicht gruselig ist, das erzählt mir Silke, die anfänglich auch aus dieser Sorge heraus gezögert hatte. Es hatte dann aber eher etwas sehr Würdevolles, etwas Heiliges. In einigen Kulturen werden bis heute noch die Knochen der Verstorbenen nach einer bestimmten Zeit ausgegraben, liebevoll gereinigt und der Mensch in einer Zeremonie zur Ahn*Innenverehrung noch einmal gewürdigt.
Bei den Khasi (ein matriarchales Volk in Indien) ist es die Kadu, die jüngste Tochter in der Mutterlinie, die die Knochen der Verstorbenen nach der Verbrennungszeremonie aus der Asche holt. Sie sammelt sie in ihrer Schürze ein, aus der sie auch sät, um sie dann im Haus an einem dafür vorgesehenen Ahn*Innenplatz aufzubewahren, Entweder unter der Erde neben der Feuerstelle oder im Rauchfang. Da, wo die Menschen als Kinder geboren werden, in demselben Bett sterben sie auch als die Alten. Und an dem Ort, inmitten des Hauses oder im Garten werden sie auch bestattet. Eine wundervolle Vorstellung, die Verbindung zu den Verstorbenen zu halten und den Lebenden, den immer wieder Neugeborenen und wiederkehrenden Ahn*innen die Angst vor dem Tod zu nehmen. Im Grunde sind wir ja nichts anders als die immer wiederkehrenden Engel/Enkel, unseren Ahn*innen ähnlich, eingebunden in einem Kreislauf aus Kommen und Gehen, zwischen dem das SEIN liegt. Ein vielgereister Mann der Mosuo (Süd-China) geht zum Sterben zurück nach Hause, genauso wie auch eine weltoffene Mosuo-Frau zum Gebären und Muttersein zurück in ihr Klanhaus kommt.
In Çatalhöyük, in Anatolien (Türkei) hat man Gräber aus der Zeit um 7500 und 5700 v. Chr. gefunden, in denen Schädel von Verstorbenen unter großen künstlerisch gestalteten Rinderschädeln lagen. In den Büchern von Marija Gimbutas wird der Zusammenhang zwischen der Symbolik sehr abstrakter Stierdarstellungen und/oder Kuhschädeln mit den langen gebogenen Hörnern zum Raum der Gebärmutter mit ihren geschwungenen Ovarien sehr deutlich. Die Gebärmutter ist den Menschen über eine sehr lange Zeit ein der Verehrung wertes Naturwunder gewesen. Auch im Labyrinth finden wir die Symbolik der Raute und des Stierschädels. Im Mythos des Minotaurus wird uns die patriarchale Verdrehung zum Menschenfressenden Ungeheuer erzählt, das um jeden Preis vernichtet werden muss. LABYAinthos, ursprünglich ein Symbol für die Schöpfungsgeschichte, für die Gebürtigkeit und Verbindung zu unseren Urmüttern, also im Grunde ein Symbol für eine nachhaltige Fortpflanzung des Lebens, heißt in etwa: „großartig umbauter Raum”, „tief in mir„, „Quelle, Wiege, Ursprung, Mutter&Kind”. Heute wollen verrückte Wissenschaftler sogar die natürliche Gebärmutter abschaffen und den Tod besiegen.
Eine Kapelle für die Trilogie!!!
Aber es gibt immer mehr Menschen, die sich wieder ihrer wahren authentischen Bedürfnisse bewusst werden, die erkennen, welches Paradies uns verloren geht, wenn wir immer nur danach streben unsere vermeintlich positiven Gefühle zu pushen oder die schmerzhaften zu betäuben. Menschen, die nach neuen Strategien suchen, mit denen sich für viele, möglichst alle Lebewesen die uns verbindenden authentischen Bedürfnisse erfüllen. Spontan platzt es aus mir heraus, dass ich mir eine kleine Kapelle für Silkes Trilogie wünsche. Da gehören sie hin. Ich liebe sinnvolle Rituale und ich liebe heilige Räume. Ich liebe Kirchen und Kapellen. Sie stehen fast immer auf alten Kraftplätzen. Aber ich mag nicht mehr auf den gequälten Körper unseres aller gemeinsamen Sohnes schauen. Bei diesem Anblick blutet mir jedes Mal mein Mutterherz. Ich wünsche mir positive, allgemeingültige Symbole und Bilder. Ich möchte bei der Darstellung unserer Ur-Mutter, ob sie nun Maria oder Inanna oder Astarte heißt, auch eine Tochter mitdenken dürfen. In dem Wort Dotter (Eidotter) hören wir es noch, dass aus der „Tochter” Hühnchen und Hähnchen erwachsen. In einer Tochtergesellschaft arbeiten ja auch Männer & Frauen. Aus dem X werden alle Geschlechter geboren. Auch in dem Wort Geschwister haben wir noch den Zusammenhang zur Schwester. Ich mag nicht mehr gegen etwas, ob Klimawandel oder Krieg, auch nicht mehr gegen den ganzen Wahnsinn aus Ausbeutung, Vermüllung und Zerstörung des Erdballs kämpfen, sondern Räume schaffen für die Erfüllung unserer authentischen Bedürfnisse, in denen Menschen, frei von jeder Religion oder anderweitiger Gesinnungs-Verbündung, geschwisterlich miteinander verbunden sein können. Denn Verbündung führt immer auch zu Trennung.
Zum Weiterlesen:
Erni Kutter „Schwester Tod”,
„Jahre, die uns geschenkt sind”,
„Der Kult der drei Jungfrauen” u.a.
Marija Gimbutas
„Die Sprache der Göttin” und
„Die Zivilisation der Göttin”.
Silke Busch- Kreativhaus ARTistIN
Den vollständig bebilderten Artikel lesen Sie im WALNUSSblatt Nr. 6, „Wieder heil werden!“.