Außergewöhnliche Reise in blau-gelben Zeiten

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Druschba–Fahrt nach Russland

„Druschba“ heißt Freundschaft. Dieses Motto haben sich seit 2016 Reisende aus Deutschland und anderen europäischen Ländern auf die Fahnen geschrieben, um mit Besuchen in Russland für Freundschaft und Völkerverständigung zu werben.

Doch ist eine solche Reise noch opportun seit dem 24. Februar 2022? In der Druschba-Gemeinschaft heißt es einhellig: ja, selbstverständlich, gerade jetzt!

Seit einigen Monaten wird Deutschland in blau-gelbe Farben getunkt. Die ukrainischen Flaggen wehen von deutschen Rathäusern, Supermärkte bieten ukrainische Spezialitäten an während russische Produkte verschwinden, Banken und Versicherungen bieten auf ukrainisch Unterstützung an. Allerorten wird kein Zweifel daran gelassen, für welche Seite man gefälligst Partei zu ergreifen hat!

Doch ist die Einordnung des Ukraine-Konflikts wirklich so einfach?  

Bevor man sein Urteil bildet, sollte man wissen, dass infolge eines vom Westen lancierten Putsches 2014 die Situation im Osten der Ukraine eskalierte und die Volksrepubliken Luhansk und Donezk mit mehrheitlich russischsprachiger Bevölkerung ihre Unabhängigkeit erklärten.

Dies wurde von der Führung in Kiew nicht akzeptiert und seitdem wird die Region bereits von der ukrainischen Armee beschossen. Seit 2014 hat es rund 15.000 zivile Opfer gegeben – bevor russische Truppen im Februar 2022 einmarschiert sind.

Dies ist die Geschichte einer außergewöhnlichen Reise in turbulenten Zeiten.

Üblicherweise bedarf es für eine große Druschba-Fahrt wie 2017 mit rund 350 Teilnehmern in PKWs, Wohnmobilen, Reisebussen und Motorrädern rund 1 Jahr Vorbereitungszeit. 2020 und 2021 konnte wegen Corona-bedingter Reisebeschränkungen nicht gefahren werden. Auch 2022 stand die Reise lange auf wackligen Beinen. Direkte Kontakte zur russischen Botschaft und die gelockerten Reisebeschränkungen ließen im Frühjahr 2022 Hoffnungen aufkeimen, dass es klappen könnte. Schnell hatte sich ein kleiner Kreis von reiseerfahrenen und stressresistenten Menschen gefunden, die gemeinsam das Abenteuer angehen wollten. Kontakte zu russischen Bekannten wurden geknüpft, Visa beantragt, Hotels über einige Umwege gebucht. Am 13. August ging es los!

Von Deutschland an die russische Grenze

Sternförmig sind die Reisenden aus ganz Deutschland zusammengekommen und haben sich in Schlesien, kurz hinter Görlitz, getroffen. Von dort führte es den 5 Autos „starken“ Konvoi weiter nordöstlich quer durch Polen und die baltischen Staaten Litauen, Lettland an die Grenze Estland-Russland. Dieser Weg wurde gewählt, um eine vermeintlich reibungslose Grenzpassage zu erleben. 3 ½ Stunden hat es dann doch gedauert, bis estnische und russische Grenzposten ein Einsehen hatten und uns passieren ließen. Der erste Erfolg war verbucht: russischen Boden unter den Füßen! In Zeiten von Schengen-Abkommen und Reisen ohne Grenzkontrollen in der EU ist eine innere Anspannung bei jedem vorhanden, bis sich dann endlich der letzte Schlagbaum hebt.

Von Opotschka nach Woronesch

Die Kleinstadt Opotschka hatten wir uns als ersten Übernachtungsort in Russland ausgesucht. Ein Abendessen mit georgischem Einschlag machte großen Appetit auf die kommenden Wochen. Die ersten Tage standen noch ganz im Zeichen der Vorbereitung. Russische SIM-Karten wurden günstig erstanden – weniger zum Telefonieren als zum Navigieren mit dem Smartphone. Außerdem hieß es, Geld von Euro in Rubel zu wechseln. Durch die Sanktionen gegen Russland war der Zahlungsverkehr mittels deutscher Bankkarten nicht mehr möglich, so dass die komplette Barschaft in Euro mitgenommen werden musste. Nun konnten auch die Autos mit Druschba-Magnetschildern und Fähnchen ausgestattet werden. Der Bekanntheitsgrad der Druschba-Freundschaftsfahrt ist in Russland enorm. Überall wird gegrüßt und freundlich zugewunken. Schon entwickeln sich erste Gespräche. Da bei den meisten von uns die russischen Sprachkenntnisse eingerostet bis gar nicht vorhanden sind, helfen uns mitreisende Muttersprachlerinnen das eine und andere Mal aus der sprachlichen Patsche. 

Über die 400.000 Einwohner zählende Stadt Brjansk geht es weiter nach Süden Richtung ukrainische Grenze. Die Hinweisschilder nach Kiew sind schon zu sehen, als wir ins platte Land abbiegen, um den deutschen Landwirt Christian und seine Frau Anna zu besuchen, die hier mit rund 100 Mitarbeitern über 7.000 ha Ackerland bewirtschaften und 500 Kühe halten. An kilometerlangen Sonnenblumenfeldern geht es vorbei zur ehemaligen Kolchose, die von Kornfeldern und Siedlungen mit kleinen Holzhäusern eingerahmt ist. Die Dimensionen sind für deutsche Verhältnisse kaum zu begreifen. Die Getreidesilos dieses einen Landwirts würden ganze Raiffeisen-Genossenschaften vor Neid erblassen lassen. Nach einer Live-Ernte mit 5 Mähdreschern und 5 Abfahr-LKWs finden wir uns wieder in der Zentrale des landwirtschaftlichen Betriebs ein. Ein umwerfendes Buffet mit allerlei Köstlichkeiten erwartet uns. Unsere Gastgeber haben groß aufgefahren, selbst Lachs, Kaviar und Champagner fehlen nicht. Die Krönung ist jedoch eine Torte in der herzförmigen Form unseres Druschba-Logos, die ein Konditor aus dem Nachbarort künstlerisch zubereitet hat. Es fällt schwer aufzubrechen, aber wir haben noch einige hundert Kilometer bis zur nächsten Stadt zu fahren. Auf dem Weg nach Woronesch passieren wir Kursk. Im so genannten „Kursker Bogen“ fand 1943 die größte Panzerschlacht der Menschheitsgeschichte statt. Der Ausgang zugunsten der Sowjetunion wird als Wende im 2. Weltkrieg angesehen. Die Verluste gingen in die Hunderttausende. 

Von Woronesch nach Wolgograd

Wer kennt in Deutschland die russische Millionenstadt Woronesch? Wahrscheinlich die wenigsten! In Deutschland sind nur Berlin, Hamburg und München größer, in Russland ist es die 14. größte Stadt. Über die Flüsse Woronesch und Don gibt es Verbindung ins Asow’sche Meer und dann ins Schwarze Meer. Zar Peter der Große, der bei niederländischen Schiffbauern „in die Lehre ging“, legte hier einen wichtigen Grundstein für die russische Seefahrt und Marine. Ein 1:1 Nachbau seines Segelschiffs kann hier besichtigt werden. 

Auch diese Region hatte sehr zu leiden im „Großen vaterländischen Krieg“. Im Zentrum findet sich eine imposante Gedenkstätte. In einer Halle untermalt bei gedämpftem Licht ernste, klassische Musik die Stimmung. Erde aus Städten, die ebenfalls stark vom Krieg betroffen waren, wird hier ausgestellt. An den Wänden sind die Namen Gefallener verewigt. Doch nicht nur den russischen Opfern wird gedacht. Rund 30 Kilometer südlich in Jemanscha ist ein deutscher Soldatenfriedhof. Die Wegfindung war trotz Navi etwas schwierig, doch Einheimische zeigten uns den Weg und gaben noch Gemüse aus dem eigenen Garten als Geschenk mit. Ein Beispiel der Wertschätzung für unsere Friedensaktivitäten, die wir von der russischen Bevölkerung immer wieder erfahren!

Unsere Autos werden in der Regel am Vorabend der nächsten Etappe vollgetankt für 80-90 Cent/Liter Super oder Diesel. Die Mischwälder an der Strecke verwandeln sich langsam, aber sicher in eine Steppenlandschaft. Auf dem Weg Richtung Süden erleben wir einen kleinen Sandsturm. Die Stadt Astrachan am Kaspischen Meer ist schon ausgeschildert und gibt uns ein Gefühl dafür, welche Entfernungen wir schon zurückgelegt haben. Bald erreichen wir Wolgograd (ehemals Stalingrad), wo wir von einer Delegation des Motorradclubs „Nachtwölfe“ empfangen werden. Mit dieser außergewöhnlichen Eskorte besuchen wir den deutschen Soldatenfriedhof in Rossoschka. Auf über 100 Steinquadern sind jeweils 1.000 Namen von in dieser Region vermissten Soldaten verewigt. Direkt gegenüber befindet sich die Gedenkstätte für die russischen Soldaten. Eine unbeschreibliche Atmosphäre umgibt uns, wenn man sich die gewaltigen Kriegsopferzahlen allein in dieser Region bewusst macht. Denjenigen, die heutzutage kriegerische Auseinandersetzungen vorantreiben, sei ein Besuch der Region Wolgograd empfohlen.

Der Mamajew-Hügel mit seiner riesigen Statue „Mutter Heimat ruft“ überragt die Stadt. Das beeindruckende Standbild war bei seiner Erbauung 1967 das weltweit größte. Das ganze Ensemble mit weiteren Statuen und einer Gedenkhalle mit ewigem Feuer und permanenter Wache mahnt alle Besucher, es nie wieder zu einem so großen Unheil kommen zu lassen. 

Das Panorama-Museum und ein Besuch beim Wolgograder „Fond für Frieden“ stellen weitere Höhepunkte dar. Unsere russischen Partner vor Ort haben erneut ein beeindruckendes Programm organisiert. Presse und Fernsehen sind informiert und berichten gerne von unserem Besuch.

Von Wolgograd nach Samara

Ein Meisterwerk des Wasserstraßenbaus und der Architektur erleben wir im Wolga-Don-Museum. Mit Hilfe von deutschen Kriegsgefangenen wurde bis 1952 ein einzigartiges Infrastrukturprojekt realisiert. Die Schleusen ähneln dem Arc de Triomphe in Paris. Die Verknüpfung von Flüssen und Meeren würde es ermöglichen, einmal „im Kreis zu fahren“ von Nord- und Ostsee über die russischen Flüsse über das Schwarze Meer und Donau, Rhein.

Vom südlichsten Punkt unserer Reise wählen wir die rechte Seite der Wolga, um nach Norden Richtung Engels zu fahren. Nach einigen hundert Kilometer stehen wir vor einem Seitenarm der Wolga und warten auf die Autofähre. Die Wartezeit überbrücken wir mit einem erfrischenden Bad in der Wolga und dem Genuss von Wassermelonen, die oft auf Obstständen entlang der Landstraße angeboten werden. Nachdem die vermeintliche Abfahrtszeit schon reichlich überschritten war, erfahren wir, dass die Fähre schon seit über einer Woche außer Betrieb ist. Aufgrund der Breite des Flusses sind Brücken rar gesät, so dass wir einen ordentlichen Umweg in Kauf nehmen mussten. Die Steppenlandschaft führt uns nach Osten bis zum Städtchen Pallassowka, wo wir beruhigenderweise unsere Autos wieder betanken konnten. Hier sind es nur noch rund 20 km Luftlinie zur kasachischen Grenze. Anschließend geht es auf einer wahren Buckelpiste nach Norden. Es ist schon dunkel, als wir das gebuchte Hotel in Engels erreichen. Hier bekommen wir erstmals so richtig Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zu spüren. Die überall im Hotel spielenden Kinder sind mit ihren Familien aus dem Donbass hierher geflüchtet. Das komplette Hotel ist belegt. Mit Hilfe unserer Kontaktperson in Marx wurde eine Ausweichmöglichkeit in der rund 50 km entfernten, nach Karl Marx benannten Stadt gefunden. Die Stadt wurde 1767 gegründet. Die Region war über Jahrhunderte das Gebiet der Wolgadeutschen. Erst zu Beginn des 2. Weltkriegs wurden nach Anordnung Stalins viele Deutsche nach Sibirien und Kasachstan vertrieben. Die deutschen Wurzeln sind jedoch überall festzustellen. Wir genießen die Gastfreundschaft einer russlanddeutschen Seniorengemeinschaft mit deutschen und russischen Liedern. Auch die Architektur, die Statue der deutschstämmigen Zarin Katharina der Großen sowie das Stadtmuseum dokumentieren die deutsche Geschichte der Stadt – rund 3.000 km östlich von Berlin. 

Vorbei an einem Dorf namens Zürich und einer wunderschönen Kirche mit Massivholz-Innenausbau fahren wir Richtung Nordosten. Über den Staudamm bei Balakowo erreichen wir die andere Wolga-Seite. Wir passieren die nach einem italienischen Kommunisten benannte Stadt Togliatti, die für die Lada-Werke bekannt ist. Nachmittags erreichen wir die neuntgrößte Stadt Russlands, Samara, das gleichzeitig den östlichsten Punkt unserer Reise darstellt. Mit einer Führung durchs Raketenmuseum wurde uns die beeindruckende Geschichte der Raumfahrt nahegebracht. Auf einer Wolga-Schifffahrt konnten wir abermals die „Lebensader der Region“ genießen und Fotomotive von Strand, traditionellen und modernen Gebäuden sammeln. Ein weiterer Höhepunkt war die Zusammenkunft mit der hiesigen Gruppe des Motorradclubs „Nachtwölfe“. Bei einem gemeinsamen Grillabend mit Schaschlik, Salaten und selbstgebrautem Bier wurde viel gefachsimpelt über Gott und die Welt. Die manchmal verwegen aussehenden „harten Jungs“ haben ein großes Herz für die deutsch-russische Freundschaft und lassen uns dies immer wieder spüren.

Von Samara nach Nischni Nowgorod

Von Samara aus orientieren wir uns nach Nordwesten und erreichen nach 250 km über eher holprige Landstraßen Uljanowsk. Dass Städte im Laufe der Zeit öfters umbenannt werden, erfahren wir auch hier. Das frühere Simbirsk wurde zu Ehren von Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als „Lenin“, 1924 in Uljanowsk umbenannt. Außer Lenins Geburtshaus und Wohnhaus finden sich viele, gut erhaltene Holzhäuser in der Stadt. Eine moderne Innenstadt mit internationaler Gastronomie, ein weitläufiger Park und ein beeindruckender Aussichtspunkt auf die Wolga, die hier „Bodensee-Format“ zu haben scheint, runden den Stadtbummel ab.

Weitere 500 km werden unter die Räder genommen, zunächst in westlicher Richtung, dann nach Norden. An der Mündung der Oka in die Wolga liegt die fünftgrößte Stadt Russlands Nischni Nowgorod, was übersetzt „Niedere Neustadt“ heißt. Das frühere Gorki ist eine weitere Sehenswürdigkeit von vielen. 1,26 Millionen Einwohner sind schon eine Größenordnung, aber die Stadt breitet sich in die Fläche aus, so dass beim Autofahren nie ein Stressgefühl wie in westlichen Metropolen wie Paris, Rom oder London aufkommt. Wir können uns geehrt fühlen, dass uns von der Oblast-Verwaltung ein kostenloser Bus zur Verfügung gestellt wird. Ein offizieller Empfang mit Pressekonferenz im Kreml von Nischni Nowgorod setzte dem Ganzen die Krone auf. Ein Höhepunkt der zwischenmenschlichen Art war der Besuch einer Gehörlosen-Schule. Es wurde ein Theaterstück aufgeführt und bei interaktiven Spielen konnten wir viel darüber lernen, wie sich gehörlose Menschen verständigen. 

30 km südlich von Nischni hat sich unser Druschba-Freund Remo mit seiner Frau niedergelassen. Dort, in ländlicher Umgebung an einem See, entsteht gerade eine neue Blockhaussiedlung.

Von Nischni Nowgorod nach Hause

Wir wären noch gerne weiter gereist durch Russland, doch langsam aber sicher müssen wir uns auf den Rückweg machen. Um Moskau machen wir dieses Jahr einen großen Bogen und kehren ca. 170 km nordöstlich in Twer ein. Ein plötzlicher Temperatursturz von 34° auf 14°C macht uns den Abschied von Russland etwas leichter. Noch eine Übernachtung in der grenznahen Stadt Pskow und wir erreichen in Estland wieder die EU. Mit weiteren Zwischenstopps in Litauen und Polen kommen wir am 3. September wieder in Deutschland an, wo wir – zeitlich passend – zum Friedensfest in Bautzen eintreffen und mit der ehemaligen MDR-Moderatorin Kathrin Huß auf der Bühne stehen. Nach einer letzten Übernachtung der Druschba-Gruppe in Chemnitz verstreuen wir uns wieder in alle Himmelsrichtungen. Die 2022-er Fahrt wird uns immer im Gedächtnis bleiben!

Wer in Zukunft mal selbst bei einer solchen Reise dabei sein will, kann sich auf folgender Internetseite informieren: www.druschba-global.org

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